Der gelbe Stern

Gerhard Schoenberner war einer der Ersten nach dem Zweiten Weltkrieg, der sich öffentlich mit dem Holocaust auseinandergesetzt hat. Er bekam für sein Engagement mehrere Auszeichnungen, was eigentlich traurig ist, dafür ausgezeichnet zu werden, aber es wurde bekanntlich jahrelang versucht, das Thema unter den Teppich zu kehren, die Nazis saßen noch breit auf ihren Sesseln, die hatten sich nach dem Krieg ja nicht in Luft aufgelöst. Außerdem waren die Menschen damit beschäftigt, ihr Land und ihr Leben wieder aufzubauen und die Kriegsschrecken zu vergessen.

So schreibt Schoenberner in seinem Vorwort: „Erreichen uns diese Bilder eines düsteren Grauens noch in der Geschäftigkeit unserer eilig restaurierten Existenz?“

Inzwischen sind wir überschüttet mit Bildern des Elends, daß Stimmen laut wurden, es müsse mal damit Schluss sein. Erreichten die Bilder die Menschen damals nicht, weil es keine gab, so erreichen sie sie heute vielleicht innerlich nicht mehr.

Schoenberner: „Sind sie nicht fast schon wieder eine Lüge, wie sie uns heute vor Augen treten, auf Kunstdruckpapier und sauber gebunden, gefiltert aus der Wirklichkeit, aber ohne ihren Schmutz, ohne die Blutflecke und ohne die Schreie der Angst?“

Für mich ist das Buch das schlimmste Dokument von allen schlimmsten. Denn es waren die ersten Bilder, die ich als Kind sah. Ich erinnere mich genau, wie meine Mutter mir das Buch reichte, stumm, mit einem bleichen, starren Gesicht.

Gerhard Schoenberner
Der gelbe Stern
Die Judenverfolgung in Europa 1933-1945

Galizien, die zerstörte Welt

Eine der gelungensten Anthologien ostjüdischer Geschichten, gelungen durch seine Vielfalt und die Auswahl seiner Schriftsteller.

Der Nobelpreisträger Samuel Josef Agnon, der wie nur wenige die Atmosphäre seiner Geschichten wiederzugeben vermag, so daß man die Welten wechselt. Scholem Alejchem natürlich, neben Jizchak Leib Perez einer der Begründer der modernen jiddischen Literatur; Rose Ausländer und Paul Celan aus Czernowitz, Chaim Nachman Bialik, der große Bialik, Nobelpreisträger Singer selbstverständlich, der unvergessene Joseph Roth, Manès Sperber und viele andere bedeutende Dichter und Schriftsteller mehr.

Die Geschichten spielen im zerstörten Galizien, heute Ukraine und Polen. Sie sind versehen mit Bildern, Zeichnungen und Radierungen von Ephraim Mose Lilien. Lilien stammt aus Drohobycz, wie Bruno Schulz, das ist lange her. Zerstört wurde diese Welt der Wunder, der Armut und Gläubigkeit von den Nationalsozialisten. Durch diese großen Erzähler kann sie in uns wiederauferstehen.

Der Titel des Buches stammt aus der ‚Todesfuge‘ von Paul Celan.

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Dein aschenes Haar, Sulamith
Ostjüdische Geschichten
Diederichs Verlag

Moyshe Kulbak – Ein großer Dichter und Opfer Stalins

Moyshe Kulbak, geb. 1896 bei Wilna, war ein jiddischsprachiger Dichter, Schriftsteller und Theaterautor, Lehrer, Übersetzer und zeitweise Vorsitzender des PEN-Zentrums für jiddische Literatur.

Sein „kleiner Roman“ erzählt von dem Hebräischlehrer Mordkhe Markus in seiner Dachkammer, der über die philosophischen Fragen zur Zeit der russischen Revolutionen 1917 nachsinnt. Dabei ist die Übersetzung von Sophie Lichtenstein aus dem Jiddischen so nah am Original, daß man fast glauben kann, die Geschichte auf Jiddisch zu lesen. Die Menschen werden so detailliert und liebevoll beschrieben, daß man meinen möchte, neben ihnen zu stehen und ihr Lebensgefühl zu teilen.

Moyshe Kulbak wurde 1937 in Minsk verhaftet und nach einem stalinistischen Schauprozess erschossen.

„Mordkhe blätterte das Buch Hiob auf. In die andere Hand nahm er das Lämpchen und verließ mit stillen, vorsichtigen Schritten das Häuschen.
Sein Gesicht war von Tränen nass und sehr blass. Ihm war, als würde er jetzt hinausgehen, um über den Untergang der Welt zu klagen.
Das enge, dunkle Gässchen war einsam und kahl.“

Eine sehr gute Beschreibung von „Montag“ fand ich von Stefanie Weiler bei Literaturkritik.de : „Sophie Lichtenstein übersetzt mit Moyshe Kulbaks „Montag – Ein kleiner Roman“ ein fast vergessenes Stück Weltliteratur.“ (<- Link)

Gallimard – der berühmte französische Verlag

Der französische Verlag Gallimard wurde 1911 von Gaston Gallimard zusammen mit André Gide und Jean Schlumberger gegründet. Die Literatur-Zeitschrift La Nouvelle Revue Française (La NRF) gab es schon drei Jahre lang, sie sollte um einen Buchverlag erweitert werden. Bücher u.a. von Gide und Paul Claudel waren die ersten, die 1911 in dem neu gegründeten Verlag erschienen, der damals noch Les Éditions de la Nouvelle Revue Française hieß, deshalb bis heute die Abkürzung nrf, die auf den Büchern des Verlags Gallimard erscheint.

Der französische Schriftsteller Pierre Assouline (*1953) schrieb eine phantastische Biographie über Gaston Gallimard, in der einem die ganzen französischen Schriftsteller aus der alten Zeit begegnen. Der Historiker Alban Cerisier (*1972) erzählt die Geschichte der Zeitschrift, die schließlich zur Verlagsgründung führte, natürlich erschienen bei Gallimard (Abb. unten li.). Die Bücher ergänzen sich und sind ein Eintauchen in die literarische französische Vergangenheit und Gegenwart.

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Die Gedankenwelt der Täter

Dieses Buch liegt der berühmten Verfilmung aus dem Jahre 1978 über das Schicksal der jüdischen Familie Weiss zugrunde.

Am 20. Januar 1942 fand die Wannseekonferenz statt, auf der die Deportation aller europäischen Juden in den Osten beschlossen wurde, um sie dort zu ermorden.

Das Erschütternde und Außergewöhnliche an dem Roman ist der literarische Kunstgriff des Autors, dem Leser die innere Logik der Gedankengänge der Mörder nahe zu bringen.
Das kann die zu Recht gelobte Verfilmung nicht leisten.

Die Gedankenwelt der Täter mit ihren mörderischen, aber in sich logischen Argumentationsketten kennenzulernen, hebt das Buch von anderer Literatur zum Thema ab und ist deshalb so empfehlenswert.

Jorge Semprun

Jorge Semprun (1923 Madrid – 2010 Paris) war Schriftsteller, Kulturminister Spaniens, Widerstandskämpfer gegen den Faschismus, bei der Résistance in Frankreich, gegen Franco in Spanien, Widerstandskämpfer im Konzentrationslager Buchenwald, in das er wegen seiner Aktivitäten gebracht wurde.

In seinem Buch „Die große Reise“ beschreibt Semprun fünf Tage, die er mit anderen Gefangenen – stehend, ohne Nahrung – im Viehwagen von Frankreich nach Buchenwald verbrachte. Diese fünf Tage, seine Erfahrungen bei der Résistance und im Spanischen Bürgerkrieg, die Verhaftung und der Versuch einer Vergangenheitsbewältigung fließen ein in seine Gedanken, seine Erinnerungen.

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Josef Ben-Eliezer, ein Leben auf der Flucht

Er war vier Jahre alt, als 1933 ein Leben begann, das aus Flucht bestand. Mit leiser Stimme, zurückhaltend und ohne zu dramatisieren, beschreibt Ben-Eliezer in Meine Flucht nach Hause die Flucht seiner jüdischen Familie aus Deutschland nach Polen, Russland, Sibirien und Usbekistan. Der Aufenthalt in Sibirien war erzwungen, man hatte den Flüchtlingen die Rückreise nach Polen versprochen, aber der Güterwagen fuhr in ein sibirisches Lager, wo sie gefangen gehalten wurden. Die Familie hält zusammen, aber er verliert seinen Glauben, und als die Mutter stirbt, verliert er auch die Geborgenheit, er kommt in ein Kinderlager nach Teheran. Nach Kriegsende fährt er als junger Mann nach Palästina, doch seine Unrast hört nicht auf, hat sich in ihm verselbständigt. In Palästina schließt er sich einer Untergrundorganisationen an, um für einen jüdischen Staat zu kämpfen. Da wird ihm bewusst, daß er Menschen das antut, was ihm früher angetan wurde. Zwischen Deutschland, Frankreich und Palästina hin und her gerissen beginnt eine quälende Suche nach einem Leben, das nicht nur um ihn selbst kreist.

„Ich machte mir immer dadurch das Leben schwer, daß ich meinen Idealen folgte.“

Als er die Antwort auf sein Suchen findet, erwähnt er sie kurz, ohne weiter darauf einzugehen, im Gegensatz zum Verlag, dessen Nachwort plump und belehrend die feine, unaufdringliche Art des Autors stört. Ich empfehle, es nicht zu lesen. Ben-Eliezers Gedanken kreisen um so viel mehr Themen, sind nachdenkenswert und wirken lange nach.

Josef Ben-Eliezer: Meine Flucht nach Hause
Aus dem Englischen von Ingrid von Heiseler
Neufeld Verlag 2015, 141 Seiten

Zum Weiterlesen und Bildnachweis

Unfreiwilliges Leben in der Fremde

Wie ging es den Menschen, die vor den Nazis und der Vernichtung flohen? Wolfgang Benz lässt die „kleinen Leute“ zu Wort kommen, die hinter den Schlagwörtern Flucht und Exil stehen, die nicht Prominenten, nicht politischen oder literarischen Emigranten.

Hier erzählen sie über ihr Leben und ihre Empfindungen, den Aufbau einer neuen Existenz in der Fremde, ihren Alltag im Exil, sei es in Bolivien, Argentinien, Mexiko, Rio, Stockholm, Jamaika, Afrika, Shanghai oder anderen Staaten, ihre Suche nach Identität nach der Entwurzelung. Dreißig Lebensgeschichten.

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Die Verjagten

„Traditionelle Lehrbücher suggerieren durch Betonung der nationalen Gemeinschaft, dass man in der Not nicht allein ist. Dabei ist eine der schmerzlichsten Erfahrungen der Flüchtlinge, auf die sie zumeist infolge der Verschleierungstaktik nationaler Märchenonkel gar nicht vorbereitet sind, dass ihre Mitbürger, bei denen sie nach Flucht und Vertreibung unterkommen, sie gar nicht mit offenen Armen empfangen, sondern dass ihnen Misstrauen und Abneigung entgegenschlagen, vor allem, wenn sie in großen Massen auftauchen.“
Jan M. Piskorski

Piskorski eilt durch hundert Jahre Flucht und Vertreibung in Europa, wofür dieses Buch mit seinen nur 400 Seiten einem mit dem Thema gut vertrauten Leser eine bereichernde Zusammenfassung mit ergänzenden Details geben dürfte. Wer sich aber einen Überblick erhofft, in welchem Land zu welcher Zeit mit welchen politischen Hintergründen es zu Flucht und Vertreibung kam, dürfte sich verlieren. Ein fast durchgehender Text mit zu wenig Kapiteln und fehlender Gliederung erschwert die Orientierung. Es fehlt ein Kompass, es fehlt an Klarheit, an welcher Stelle der Geschichte der Autor sich jeweils befindet. Für Historiker und wer die Ereignisse des letzten Jahrhunderts sicher parat hat bestimmt ein Gewinn, ansonsten ist beim Lesen unter Umständen viel Recherchearbeit nötig.

Eine wichtige Korrektur muss ich anbringen: Auf Seite 104 schreibt Piskorski, daß die St. Louis mit ihren neunhundert jüdischen Flüchtlingen an Bord 1939 von Kuba abgewiesen worden sei, weil die Passagiere nicht die erforderlichen Einwanderungspapiere besessen hätten. Das ist nicht richtig. Wie Hans Herlin in seinem genauestens recherchierten Buch „Die Tragödie der St. Louis“ untersucht hat, war dies ein Gerücht, um einen Vorwand zu haben, die Juden nicht aufnehmen zu müssen. In Wirklichkeit wollte der kubanische Präsident plötzlich von jedem Juden Geld für die Einreise, das die Flüchtlinge aber nicht aufbringen konnten.

Jan M. Piskorski
Die Verjagten
Siedler Verlag, München 2013
ISBN 9783827500250
Gebunden, 432 Seiten

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Überlebt

Ein kostbares Buch. Geschrieben hat Schlomo Samson es in Israel auf Hebräisch und danach selbst in seine erste Muttersprache Deutsch übersetzt, nachdem er fünfzig Jahre nur Hebräisch gesprochen hatte.

Samson lässt sich Zeit beim Erzählen. Man kann mit ihm zusammen in die Vergangenheit eintauchen. Ausführlich und detailreich beschreibt er auf 528 Seiten seine Kindheit, die Trennung der Familie durch die Flucht, seine Ausbildung auf den Schulfarmen für Hachschara-Pioniere zur Vorbereitung auf das Leben in Palästina, das Leben im Durchgangslager Westerbork und im Konzentrationslager Bergen Belsen, die Befreiung, seine Einwanderung in Palästina am 2.4.1946.

Das für mich beeindruckendste Kapitel ist der Aufenthalt im Lager Westerbork. Samson schreibt, wie die jüdischen Gefangenen ihren Glauben, ihre Feste und Rituale unerschütterlich weiter leben trotz der katastrophalen Bedingungen im Lager. Seine Erzählungen werden besonders anschaulich durch Dokumente, Briefe, Tagebucheinträge, Fotos. Er ist beim Schreiben nicht auf Wirkung aus, die Wirkung entsteht durch die Authentizität seines Berichts und die ruhige Erzählweise.

Schlomo Samson:
Zwischen Finsternis und Licht
50 Jahre nach Bergen-Belsen
Erinnerungen eines Leipziger Juden
Verlag Rubin Mass, Jerusalem

Schlomo Samson 1941

Tschingis Aitmatow, ein Kind als Opfer Stalins

Am Tage, gewöhnlich zur Mittagszeit, kroch der Junge gern in die vielstengligen Estragonstauden. […] Die Estragonstauden sind treue Freunde. Besonders wenn man gekränkt worden ist und weinen möchte, ohne daß es jemand sieht, kann man sich im Estragongebüsch am besten verstecken. Es duftet wie am Rande eines Kiefernwaldes. Heiß und still ist es im Estragon. Und die Hauptsache – er verdeckt nicht den Himmel. Du mußt dich auf den Rücken legen und in den Himmel schauen. Anfangs ist durch die Tränen fast nichts zu erkennen. Aber dann kommen Wolken angeschwommen und machen oben alles, was du dir ausdenkst.

„Der weiße Dampfer“ handelt vordergründig von einem einsamen Jungen, der in seiner Märchenwelt lebt und auf einem weißen Dampfer, den er durch ein Fernglas beobachtet, seinen Vater vermutet. Als Fisch verwandelt will er zu ihm schwimmen.

Der Hintergrund ist, daß Tschingis Aitmatow, 1928 in Kirgisien geboren, neun Jahre alt war, als sein Vater während der stalinistischen Säuberungen hingerichtet wurde.

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Aitmatow studierte Veterinärmedizin und später Literatur am Max-Gorki-Literaturinstitut. Er ist Leninpreisträger, war Chefredakteur, Berater Gorbatschows, Botschafter für Kirgisien in Luxemburg und Frankreich. Aitmatow starb 2008 in Nürnberg.

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Geraubte Kinder

booknode.com

Den schwangeren Frauen, die während der Militärdiktatur in Argentinien als „Verschwundene“ ins Konzentrationslager kamen, wurde gleich nach der Geburt das Kind weggenommen und die Mütter wurden ermordet. Die Kinder kamen zu hohen Militärs und wurden zwangsadoptiert.

„Verschwundene“ (desaparecidos), weil es keine offiziellen Verhaftungen gab und Anklage und Gerichtsprozess schon gar nicht. Vermeintliche Regimegegner wurden von der Junta verschleppt und ihre Angehörigen sahen sie nie wieder. Sie wurden gefoltert, erschossen oder über dem Meer abgeworfen. Nur wenige der Verschwundenen überlebten den Terror der von 1976 bis 1983 andauernden Militärdiktatur in Argentinien, während der 30.000 Menschen ermordet wurden.

Elsa Osorio schildert hier in Romanform das Schicksal der Luz, die herauszufinden versucht, wer ihre wahren Eltern sind. Sie wuchs in einer Militärfamilie auf. Die Geschichte ist fiktiv, steht aber für hunderte wahre.

Osorio bekam für ihr Buch den Literaturpreis von Amnesty International.

Elsa Osorio wurde 1952 in Argentinien geboren. Sie ist Journalistin, Dozentin, Drehbuchautorin und Schriftstellerin und lebt überwiegend in Madrid.

Originalausgabe 1998 „A veinte años, Luz“ bei Alba Editorial S.L., Barcelona. Die Übersetzung schuf Christiane Barckhausen-Canale.

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Ein Kind unter der Militärdiktatur

Das Leid der Kinder, das die Erwachsenen nicht sehen. Nicht in Friedenszeiten, wenn Familienkrieg herrscht, und in Kriegszeiten genauso wenig. Da bekommen die Kinder auf der einen Seite zu hören, sie seien noch zu klein, um „die Dinge“ verstehen zu können, auf der anderen wird von ihnen verlangt, sich wie Erwachsene zu verhalten.

Laura ist sieben, als sie mit ihrer Mutter in den Untergrund gehen muss. Die Eltern kämpfen gegen die argentinische Militärherrschaft, der Vater sitzt im Gefängnis. Laura versteht sehr gut, warum sie und ihre Mutter in einem Versteck leben müssen. Sie versteht sehr gut, obwohl die Erwachsenen so wenig erklären, weil sie noch zu klein sei. Verhaltensmaßregeln bekommt sie eingetrichtert und Laura versucht, alles zu befolgen. Es wird auch von ihr verlangt, daß sie alles befolgt, sonst würde sie andere in Gefahr bringen. Und doch macht sie Fehler, dann wird sie angeschrien, ob sie denn nicht wüsste, wie gefährlich das sei, was sie getan habe. Laura sieht ein, daß sie einen schlimmen Fehler gemacht hat, sie will sich ja wie eine Erwachsene benehmen, sie will ja alles richtig machen, sonst hat sie Schuld. Niemand sieht Lauras Leid. Niemand hat Nachsicht mit ihr, keiner spielt mit ihr oder nimmt sie in den Arm. Der Widerstandskampf zählt, das Kind läuft nebenher.

Die Autorin schreibt die Geschichte aus der Sicht des Kindes. Seine Überforderung und seine Angst sind beklemmend. Wie Laura ergeht es Millionen von Kindern, deren Seelen Opfer von Politik und Gewalt werden.

Laura Alcoba: Das Kaninchenhaus
Aus dem Französischen von Angelica Ammar
Insel Taschenbuch 2012, 122 S.
(Manège. Petite histoire argentine, Éditions Gallimard Paris 2007)

Laura Alcoba, geboren 1968 in La Plata, Argentinien, flüchtete 1978 mit ihrer Mutter nach Paris. Sie ist heute Schriftstellerin, Übersetzerin und Universitätsdozentin.

Foto escritores.org

Dichter im Verborgenen

Dag Hammarskjöld, geb. 1905 in Schweden, war von 1953 bis 1961 Generalsekretär der Vereinten Nationen. Er bekam nach seinem Tod, ein bis heute ungeklärter Flugzeugabsturz über dem Kongo, den Friedensnobelpreis verliehen.

Nach seinem Tod fand man sein Tagebuch zusammen mit einem Brief an einen Freund, der entscheiden sollte, ob es veröffentlicht wird. Nach dem Erscheinen des Buches war das Erstaunen groß, kein Wort über Politik zu lesen, sondern die Worte eines Dichters.

„Sinnlos, was ich fordere: daß Leben Sinn haben soll.
Unmöglich, wofür ich kämpfe: daß mein Leben Sinn erhalten soll.
Ich getraue mich nicht, weiß nicht, wie ich glauben könnte: daß ich nicht einsam bin.“

„Stille – wie wenn lange Bitterkeit in Tränen zerbricht. Kahle Erde. Im linden Licht der feuchte Glanz weiten Wassers -„

„Zu müde für Menschen
suchst du Einsamkeit
zu müde sie zu füllen.“


Dag Hammarskjöld: Zeichen am Weg
Übertragen aus dem Schwedischen von Anton Graf Knyphausen.
Droemer Knaur, München/Zürich 1965

Portrait aus dem Archiv der Nobelstiftung

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Jiddischsprachige Schriftsteller und Künstler

Online-Archiv für jiddischsprachige Dichterinnen und Dichter, Künstlerinnen und Künstler vom 19. Jahrhundert bis in unsere Zeit

Ein Projekt Gegen das Vergessen

In Osteuropa, besonders in und um Warschau, Wilna und Kiew, entstand eine große Literatur, als die Nazis kamen und fast alles vernichteten. Nach dem Krieg führte Stalin die Ausrottung der jiddischen Kultur bis zu seinem Tod 1953 fort. Auch unter Chruschtschow und Breshnew ging der Antisemitismus weiter. Die jiddische Literatur hätte Weltliteratur werden können. Stattdessen wurde sie fast vergessen.

In diesem Archiv sollen die vergessenen, verfolgten, in der Welt verstreuten, verstorbenen und ermordeten jiddischsprachigen Dichter und Künstler vereint werden. Englischsprachige Institutionen wie YIVO und Yiddish Leksikon haben umfangreiche, ausführliche Sammlungen; hier sollen Kurzbiographien einen Überblick verschaffen.

Buchvorstellungen, Werk- und Musikausschnitte, Bilder oder Videos geben zusätzlich einen Einblick in Künstler und Werk.

Jiddisch galt schon als sterbende Sprache, als in den letzten Jahren Jiddisch an immer mehr Orten wieder auflebte, jiddische Bücher gesucht, gesammelt und neu aufgelegt wurden, Lehrbücher gedruckt und Kurse angeboten, Jiddisch gelernt und unterrichtet wird.

Der jiddische Dichter Zvi Eisenman sagte, daß das unterrichtete Jiddisch, das keine Muttersprache ist, nicht über Generationen weitergegeben werde, ein „synthetisches“ Jiddisch sei; ich halte dagegen, daß es dazu befähigt, jiddische Literatur im Original zu lesen und sie damit am Leben zu erhalten, und, wie überall in der Literatur, innerlich im Dialog mit dem Autor zu stehen, ob lebendig oder verstorben.

Nicht zu vergessen die zeitgenössischen jiddischen Dichter und Millionen jiddischen Muttersprachler in Brooklyn, Stamford.

Old Yiddish World ist gelistet im Webarchiv der Deutschen Nationalbibliothek.

Zum Archiv

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Bildnachweis: Henry Weiss: Ein Abend im Shtetl